Wertschöpfung erhalten durch produktspezifische Trennverfahren

2022-09-18 19:48:44 By : Ms. Angela Zhang

Welche Anforderungen werden an Nutzentrennverfahren gestellt und welche Probleme können auftreten, wenn der Nutzen nicht diesen Anforderungen entspricht? Der Fachbeitrag stellt nicht nur die Richtlinien und typische Trennverfahren vor. Empfohlene Grenzwerte für die Oberflächendehnung von Keramikkondensatoren werden genauso aufgezeigt wie die Messung mit Dehnungsmessstreifen. Entwickler erhalten Hinweise für ein fertigungsgerechtes Design, das eine wertschöpfende Nutzentrennung ermöglicht.

Bild 2: Mit den auf der Leiterplatte aufgeklebten DMS-Folien lassen sich Oberflächendehnung oder Oberflächenstauchung beim Nutzentrennen erfassen. (Bild: Fraunhofer Isit)

Elektronische Baugruppen werden typischerweise im Fertigungsnutzen aufgebaut. Dies ermöglicht eine effektive und kostengünstige Herstellung durch automatisiertes Handling. Eine kostengünstige Produktion erfordert hierbei die maximale Ausnutzung der Leiterplattenfläche, was oftmals eine randnahe Platzierung von Bauelementen zur Folge hat. Nahezu am Ende des Produktionsprozesses wird der Baugruppennutzen vereinzelt. Umso wichtiger ist es hierbei, durch geeignete, schonende Trennprozesse die erreichte Wertschöpfung in den Einzelbaugruppen zu erhalten. Die Erwartung an die Nutzentrennung ist demzufolge, dass das Ergebnis der Vereinzelung unter Schonung hochempfindlicher Bauteile perfekt ist und keine Nacharbeit erfordert. Es soll ein staubfreies und stressarmes Verfahren zum Einsatz kommen, das schnell und zuverlässig arbeitet. Dazu muss es einfach zu bedienen sein und einen geringen Investitions- und Wartungsaufwand erfordern.

Probleme tauchen auf, wenn der Nutzen nicht den Erfordernissen entspricht. Der Preisdruck in der Elektronikfertigung erfordert die möglichst vollständige Ausnutzung des Fertigungspanels, sodass die Einzelleiterplatten effizient auf einem Fertigungsnutzen in einer Matrix angeordnet werden. In der Konstruktion des Nutzens können Schwachpunkte enthalten sein. Insbesondere die Anordnung und Ausführung der Haltestege kann zu Schwierigkeiten beim Trennen führen. Die Positionierung steht möglicherweise im Konflikt mit der Bauteilplatzierung oder dem Leiterbild. Der Nutzen wird instabil durch zu tief ausgelegte Ritzungen oder zu wenige Haltestege oder die Leiterplatte ist zu dünn für die gewählte Nutzengröße. Bauelemente, die über die Leiterplattenkante hinausragen, liegen außerhalb des Konturbereichs oder das Leiterbild verläuft zu dicht an der Kontur und wird somit beim Trennvorgang beschädigt. Zu groß dimensionierte Stege oder eine zu dicke Leiterplatte erschweren den Trennvorgang. Dazu kommen Toleranzen im Fertigungsprozess. Das kann zu hohen mechanischen Belastungen bis hin zur Beschädigung der Leiterplatte wie etwa Delamination oder Lackbeschädigungen sowie (Mikro-)rissen in Bauteilen und Lötverbindungen führen.

Weil die Nutzentrennung fast am Ende der Wertschöpfungskette liegt, muss Nutzengestaltung bereits zu Beginn der Entwicklung eines neuen Produkts und noch vor dem Leiterplatten-Design in das Produkt einfließen. Kritische Bauteilbelastungen können durch Dehnungsmessungen ermittelt, Trennprozesse und Handling qualifiziert werden. Das Fraunhofer ISIT unterstützt mit Messtechnik und Expertise.

Zum Thema Nutzengestaltung und Nutzentrennung findet man in den IPC-Richtlinien sinnvolle Hinweise. Das IPC-Richtlinienwerk bietet umfassende Informationen und Bewertungskriterien für elektronische Baugruppen. Mit dem Thema Nutzengestaltung befassen sich unter anderem die IPC-2221 [1]und die IPC-2222 [2]. In der IPC-7351 [3] sind Designregeln für die Nutzenbildung zu finden. Die Richtlinien IPC-A-600 [4] und die IPC-A-610 [5] bieten eine gute Hilfestellung bei der Qualitätsbewertung von Leiterplatten und elektronischen Baugruppen und zeigen anhand umfangreicher Bildbeispiele von Kanten und Laminatzuständen Abnahmeanforderungen für die Herstellung von Leiterplattennutzen bzw. elektrischen und elektronischen Baugruppen.

Bild 1: Stumpfe Ritzmesser sorgen für ungleichmäßige Ritzergebnisse. Die Folge: Ausgefranste Glasfasern nach dem Trennvorgang. Fraunhofer Isit

Die IPC-2222 beschreibt beispielsweise Designanforderungen an die Baugruppe hinsichtlich Erstellung des Leiterbilds und liefert Empfehlungen für Ausbrechzungen und gefräste Schlitze sowie Standardparameter für das Ritzen. Messer mit einem kleinen Schneidwinkel erfordern weniger Platz für den Ritzgraben und ermöglichen eine randnähere Bestückung und somit bessere Ausnutzung der vorhandenen Leiterplattenfläche. Zu bedenken ist aber, dass diese Messer schneller stumpf werden können und das Ritzergebnis damit ungleichmäßiger wird. Eine wechselnde Schnitttiefe und damit undefinierte und ungleichmäßige Reststegdicke kann zu Problemen beim Trennvorgang führen. Unzureichend getrennte Leiterplatten, zu hohe mechanische Beanspruchung beim Trennvorgang und eine raue Bruchkante mit unzulässig ausgefransten Glasfasern nach dem Trennvorgang können die Folge sein (Bild 1).

Unterschieden wird in Ritz- oder Kerb- sowie Fräsnutzen. Oftmals werden je nach Leiterplattenkontur und Bauteilplatzierung verschiedene Nutzenausführungen miteinander kombiniert. Diese können zusätzlich Bohrungen in den Haltestegen enthalten, was bei richtiger Ausführung und Platzierung ein einfaches Heraustrennen der Einzelleiterplatten mit minimiertem mechanischem Stress bedeutet.

Bild 4 zeigt beispielhaft die von Halbleiterherstellern empfohlene Anordnung von Chipkondensatoren (7). Fraunhofer Isit

Ritz- oder Kerbnutzen sind weit verbreitet bei gerader, durchgängiger Kontur der Leiterplatte. Sie lassen sich mit kostengünstigen Verfahren trennen, allerdings nicht immer Baugruppen schonend und es verbleibt oft eine raue Bruchkante. Fräsnutzen kommen bei unregelmäßiger Kontur der Einzelleiterplatte zur Anwendung. Die verbleibenden Frässtege, oftmals mit sogenannten Brech- oder Perforationsbohrungen versehen, müssen dem Nutzen ausreichend Stabilität für das Handling bieten und dürfen trotzdem beim Vereinzeln nur minimalen mechanischen Stress verursachen.

Unterschieden wird nach Trennverfahren in:

und nach Einbindung in den Produktionsprozess in:

Bild 5: Dehnungsverlauf bei Rollen-Linearmessertrennung: Deutlich ist zu erkennen, dass es zu einer Stauchung beziehungsweise Dehnung mit Amplituden deutlich größer 1500 ppm kommt. Fraunhofer Isit

Zerteilende Nutzentrennverfahren sind zum Beispiel das Herausbrechen von Hand entweder ohne Hilfsmittel oder über eine Brechschiene beziehungsweise Brechvorrichtungen, das Trennen mittels Seitenschneider und Papageienzange, die Nutzentrennung mit Rollenmesser (sogenanntes Pizza-Cut-Verfahren) und die Nutzentrennung mit einer Stanzeinrichtung oder mit einem Keilmesser. Hingegen wird unter das spanende Nutzentrennverfahren das Trennsägen mit einer dünnen Diamanttrennscheibe und das Trennen mit einem flexiblen Fräser verstanden, der sich für eine hohe Trenngenauigkeit kameraunterstützt positionieren lässt.

Bild 2: Mit den auf der Leiterplatte aufgeklebten DMS-Folien lassen sich Oberflächendehnung oder Oberflächenstauchung beim Nutzentrennen erfassen. Fraunhofer Isit

Des Weiteren wird zunehmend das Lasernutzentrennen eingesetzt, bei dem der Baugruppennutzen unter einer Laserquelle oftmals mit einem großen Arbeitsabstand durch den flexibel positionierbaren Laserstrahl ohne mechanischen Stress berührungslos mit hoher Präzision getrennt wird. Je nach Anwendung kommen unterschiedliche Laser zum Einsatz. Entstehende Stäube oder im Fall der Lasernutzentrennung entstehender Schmauch werden abgesaugt. Abhängig vom Nutzentrennverfahren ergeben sich unterschiedlich breite Trennschnitte, wobei der Laser bei FR4 mit <<100 µm deutlich dünnere Schnitte als etwa das Sägen (typ. 0,5…0,8 mm) und das Fräsen (typ. 1,6/2,0/2,4 mm) verursacht.

Mit einer Dehnungsmessung ist es möglich, die mechanische Belastung beim Nutzentrennen zu erfassen. Hier können auch die vor- und nachbereitenden Arbeitsschritte wie etwa das Einlegen in die Nutzenaufnahme, das Ausheben des Nutzens oder der Einzelleiterplatte aus der Trennvorrichtung, das Einpressen von Steckkontakten, der Einbau in ein Gehäuse oder die Adaption auf andere Baugruppen beispielsweise mittels Einpresstechnik analysiert werden. Erfasst wird hierbei mit Dehnungsmessstreifen (DMS, Bild 2) die Oberflächendehnung oder Oberflächenstauchung. Angeordnet in einer Wheatstoneschen Brückenschaltung wird die Veränderung des Widerstandswertes des DMS mit einem Oszilloskop gemessen und daraus die Verformung berechnet.

Bild 3: Keramikkondensatoren sind mechanisch empfindliche Komponenten: Gut zu erkennen ist der Kondensatorbruch nach einer mechanischen Belastung. Fraunhofer Isit

Mechanisch empfindliche Komponenten sind etwa Keramikkondensatoren, hier treten Brüche ab einer Dehnung von ca. 1500 ppm auf [6]. Zu berücksichtigen sind unter anderem Baugröße, Steifigkeit des Trägermaterials, Lotvolumen, Belastungsgeometrie und Belastungsgeschwindigkeit. Eine schnellere Belastung führt zu höheren Kräften, bei langsamer Belastung kann die Lötverbindung durch Kriechen nachgeben. Kondensatorbrüche können zum Ausfall bis hin zur vollständigen Zerstörung des betroffenen Produkts führen. Bild 3 zeigt einen metallographischen Querschliff eines gebrochenen Keramikkondensators nach mechanischer Belastung.

Um die mechanische Belastung zu minimieren, wird von Bauteilherstellern die Anordnung von Chipkondensatoren parallel zur Biegekante oder im Bereich von Ausfräsungen empfohlen, wie in Bild 4 dargestellt. Bild 5 zeigt den Dehnungsverlauf bei einem vollständigen Trennvorgang mit einem Rollen-Linearmesser. Deutlich ist zu erkennen, dass es zu einer Stauchung beziehungsweise Dehnung mit Amplituden deutlich größer 1500 ppm kommt. Dieses Trennverfahren hat sich im untersuchten Beispiel als ungeeignet für eine kritische Bestückung erwiesen. Insbesondere Toleranzen im Reststeg führen zu einer undefinierten und ungleichmäßigen Belastung.

Die Belastung ist in diesem Beispiel auf der Seite des rollenden Messers (Leiterplatten-Oberseite) deutlich geringer als auf der gegenüberliegenden Seite. Das ist aber produktspezifisch und kann nicht verallgemeinert werden. Baugruppen, die etwa aufgrund ihrer Bestückung bereits mit Kraft auf die Trennvorrichtung geklemmt werden müssen, können allein hierdurch Dehnungen von weit über 800 ppm erfahren, was deutlich über dem in der Automobilindustrie anerkannten Grenzwert von 500 ppm liegt. Gewaltsames Aufklemmen des Nutzens kann zudem die Mechanik der Trennmaschine dauerhaft schädigen und durch nicht exakt übereinander stehende Messer zusätzliche Belastungen auf die Baugruppe übertragen.

Bild 6 (l.): Ergebnisse einer Untersuchung verschiedener Nutzentrennverfahren I und Fraunhofer Isit

Bilder 6 und 7 zeigen Einzelergebnisse der mechanischen Belastung bei Anwendung verschiedener Nutzentrennverfahren an unterschiedlichen Produkten. Einzelne Trennverfahren führen zu einer möglicherweise unzulässigen Belastung. Hierzu müssen jeweils die produktspezifischen Gegebenheiten wie Layout, Bestückung, Fertigungsprozesse und die Einsatzbedingungen des Produkts berücksichtigt werden. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse ist nur bedingt zulässig.

Nutzengestaltung und die Anforderungen an die Nutzentrennung müssen bereits zu Beginn der Entwicklung eines neuen Produkts und noch vor dem Leiterplatten-Design in das Produkt einfließen. Da die Nutzentrennung fast am Ende der Wertschöpfungskette liegt, ist ein Baugruppen schonender, sicherer Prozess unerlässlich.

Bild 7 (r.) Ergebnisse einer Untersuchung verschiedener Nutzentrennverfahren II. (8) und (9). Fraunhofer Isit

Der in der Automobilindustrie allgemein anerkannte Grenzwert für die Dehnungs-/Stauchungsbelastung von Keramikkondensatoren liegt bei 500 ppm. Eine geeignete Bauteilanordnung minimiert den mechanischen Stress und konstruktiv durchdachte Sollbruchstellen reduzieren die Krafteinwirkung auf die Leiterplatte beim Nutzentrennen. Jedoch muss die Stabilität des Nutzens für weitere Prozesse beachtet werden.

Manuelle Prozesse können die Qualität negativ beeinflussen und verursachen Prozessschwankungen. Hier sollte nur geschultes Personal zur Nutzentrennung eingesetzt werden. Mechanisch stressarme Trennmethoden sind Sägen, Fräsen, Trennen mit Schneidmessern im Gesamtschnitt (Reststegstanze) und Lasern. Sägen und Fräsen jedoch kann vibrationsempfindliche Komponenten wie etwa Beschleunigungs-, Schwingungs- und Lagesensoren schädigen. Hierzu müssen gegebenenfalls entsprechende Messungen durchgeführt werden. Vor- und Nachteile einzelner Nutzentrennverfahren (Investition und laufende Kosten, Mitarbeiterqualifikation, mechanische Beanspruchung, usw.) müssen individuell für das eigene Produktportfolio betrachtet werden.

[1] IPC-2221, Generic Standard on Printed Board Design. 11/2012.

[2] IPC-2222, Sectional Design Standard for Rigid Organic Printed Boards . 12/2010.

[3] IPC-7351, Generic Requirements for Surface Mount Design and Land Pattern Standard. 06/2010.

[4] IPC-A-600, Acceptability of Printed Boards . 06/2016.

[5] IPC-A-610, Acceptability of Electronic Assemblies. 10/2017.

[6] Jim Bergenthal, John D. Prymak. KEMET Engineering Bulletin F-2110, Capacitance Monitoring While Flex Testing. June, 1995.

[7] Murata Manufacturing Co., Ltd. Chip Multilayer Ceramic Capacitors for General, C02E.pdf, Nov.27, 2017, page 273.

[8] Schütrumpf, N. Untersuchungen von stressfreien Trennmethoden. 9. EE-Kolleg 2006

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