Marmor als Baumaterial bei der Haussanierung: Italiens Exportschlager - WELT

2021-12-22 10:17:05 By : Mr. Sebastian GE

D as Gold von Göflan ist weiß. So weiß wie die Kappe aus ewigem Schnee und Eis auf dem 3905 Meter hohen Ortler, dessen Gipfel über dem 595-Einwohner-Ort im Etschtal thront. Was die Arbeiter hier im Südtiroler Vinschgau mit ihren Diamantseilsägen aus dem Berg schneiden, haben Hitze und Druck im Erdinneren in 400 Millionen Jahren aus Kalkstein geformt: Marmor – extrem hart, widerstandsfähig und wetterbeständig.

Es sind Eigenschaften, die einen Hauch von Ewigkeit versprühen. Zusammen mit einer einzigartigen Ästhetik und Wertigkeit sorgen sie dafür, dass der edle Baustoff schon immer Künstler und Architekten in aller Welt fasziniert hat. Doch auch für Bauherren und Immobilienbesitzer verkörpert Marmor Luxus – gerade in Deutschland erlebt das Baumaterial zurzeit einen regelrechten Boom.

Zahlen vom Statistischen Bundesamt belegen das. Wurden 2012 noch 128.487 Tonnen rohen Marmors nach Deutschland importiert, waren es im vergangenen Jahr bereits 153.833 Tonnen – ein Zuwachs von 20 Prozent. Die eingeführte Menge bereits zu Platten oder Fliesen geschnittenen Carbonatgesteins stieg im selben Zeitraum sogar um 47 Prozent von 206.896 auf 303.042 Tonnen.

„Vor allem ältere Besitzer, die ihre Eigenheime oder Eigentumswohnungen bereits abgezahlt haben, nutzen jetzt Ersparnisse, um ihre Immobilien individuell und luxuriös zu gestalten“, sagt Peter Mertens vom Verband deutscher Baustoffhändler. Das bestätigt Michael Voigtländer, Immobilienökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

„Viele Eigentümer schuldenfreier Immobilien haben ihre kurz nach der Jahrtausendwende abgeschlossenen Bausparverträge bis zur Neige bespart, um in den vollen Genuss der damals noch hohen Zinsen zu kommen“, sagt Voigtländer. Jetzt, da das Geld ausgezahlt werde, stünden sie vor der Frage, es zu Mini-Erträgen wieder anzulegen oder es in die Verschönerung ihres Hauses oder ihrer Wohnung zu investieren.

„Nicht wenige entscheiden sich für letztere Variante, weil Spareinlagen kaum noch verzinst werden“, sagt Voigtländer. Genau dies sei auch das Ziel der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). „Mit den Mini-Zinsen will die EZB den Konsum und damit die Wirtschaft in der Euro-Zone ankurbeln.“

Allzu hohe Erwartungen an die Rendite dieser Investition sollten Eigentümer allerdings nicht hegen. Der Trend zur Veredelung des Eigenheims fällt eher unter das Motto Liebhaberei. Experten bezweifeln nämlich, dass das Verlegen von Marmorfliesen oder die Vertäfelung der Bäder mit Marmorplatten den Wert von Haus oder Wohnung überproportional in die Höhe treiben.

„In der Regel lässt sich durch eine Luxusausstattung kein Wertzuwachs erzielen, der die entstehenden Kosten übersteigt“, sagt Peter-Georg Wagner von der Makler- und Bewertervereinigung Immobilienverband Deutschland (IVD). Dies liege allein schon an den unterschiedlichen Geschmäckern und dem Wandel des Zeitgeists.

„Was heute gefällt, kann in zehn Jahren bereits vollkommen aus der Mode sein“, sagt Wagner. Ein Beispiel dafür seien die orangefarbenen Badezimmerfliesen, die in den 1970er-Jahren als letzter Schrei in der Badgestaltung galten. „Heute führen solche Fliesen zu Wertabschlägen bei Eigenheimen, weil die Käufer die Badezimmer sofort renovieren wollen.“

Wer ein solches Schicksal nicht mit einer Marmorausstattung seiner Immobilie erleben will, sollte sich von dunklem Carbonatgestein fernhalten, sagt Thomas Beyerle, Chefresearcher der Immobilienberatungsgesellschaft Catella. „Schwarze Marmorbäder wirken zwar in Hollywoodfilmen sehr edel, aber es ist sehr fraglich, ob diese Farbe auch im Jahr 2025 noch geschätzt wird.“

Stattdessen sollten Eigentümer lieber zu Steinplatten und Fliesen in hellem Grau oder in Weiß greifen. „Diese neutralen Farbtöne werden nie aus der Mode geraten, weil sie Zimmer größer wirken lassen“, sagt Beyerle. Und auch wenn es dabei nicht immer gleich der teure Göflaner Marmor sein muss: Italien ist auf jeden Fall die erste Adresse für den edlen Baustoff – und Carrara der berühmteste Name.

Zwar wird das Carbonatgestein in zahlreichen Ländern aus dem Boden gebrochen: in Griechenland in Thrakien und auf der Insel Thassos, in Frankreich in der Pas de Calais, in den Bergen Portugals, in der Türkei, in den US-Bundesstaaten Colorado, Georgia und Vermont, im kanadischen Quebec und in China. Sogar in Deutschland wird im oberfränkischen Fichtelgebirge der Wunsiedler Marmor zutage gefördert.

Doch kein Marmor ist weltweit so begehrt wie italienischer. „Für zahlreiche Menschen ist Italien ein Synonym für perfektes, edles Design“, sagt Baustoffexperte Mertens. „Wer es sich leisten kann, wählt deshalb italienischen Marmor, auch wenn das Carbonatgestein aus anderen Ländern zum Teil deutlich billiger ist.“

Das ist Fluch und Segen zugleich für den Göflaner Marmor. Denn wegen des deutschen Namens des Südtiroler Ortes verknüpfen viele Käufer den Stein nicht mit Italien, sondern denken dabei nur an die weit bekannteren Abbaustätten in Carrara, Lucca und Massa. „Die Welt schreit nach italienischem Marmor“, sagt Verkaufsleiter Koch. „Selbst in Deutschland ist unser Marmor unter dem Namen Göflan schwer zu verkaufen.“

Deshalb bieten die Vertriebspartner der Südtiroler deren Stein außerhalb der Provinz oft unter der italienischen Bezeichnung des Dorfes an: Covelano. So können Vertriebspartner und Handel Toppreise für das wetterbeständige Carbonatgestein erzielen. Deutsche Fachhändler etwa rufen für Covelano-Platten der Sorte Royal Gold bis zu 500 Euro pro Quadratmeter auf.

Und das zahlen nicht nur wohlhabende Eigenheimbesitzer. Auch viele Auftraggeber von Architekten und Bildhauern wissen die Qualität zu schätzen. Der steirische Künstler Hans Muhr etwa, der für das Grab des vor einem Jahr verstorbenen Entertainers Udo Jürgens eine spektakuläre Skulptur in Form eines Musikflügels schuf, wählte dafür wetterfesten Marmor aus Göflan.

Auch der französische Stararchitekt Christian de Portzamparc griff bei der Planung des im vergangenen Jahr fertiggestellten fünfhöchsten Wolkenkratzers New Yorks zum Marmor aus der deutschsprachigen autonomen Provinz Italiens. In 95 Luxusapartments des 306 Meter hohen Turms an der 57th Street sind die Wände und Fußböden der Bäder mit Marmor aus Göflan getäfelt und gefliest.

Darunter auch die des Penthouse auf dem Dach des 79-stöckigen Turms, das für den Rekordpreis von 100,5 Millionen Dollar einen Käufer fand. Manager des Projektentwicklers Extell Development seien gleich mehrmals über Rom nach Südtirol geflogen, um sich aus neu gebrochenen Blöcken jene zu wählen, die ihnen für den Wolkenkratzer am passendsten erschienen, sagt Christoph Koch, Verkaufsleiter des Marmorwerks Göflan.

Auch die Wiener Stadtplaner setzten auf Marmor. Die Prunkfassaden der nach 1870 erbauten Stadthäuser entlang der Ringstraße, die Teil des Weltkulturerbes der Stadt ist, sind aus den Platten aus Italien entstanden. Weder Sommerhitze, regennasse Herbsttage und klirrende Winterkälte noch die Autoabgase aus den vergangenen Jahrzehnten haben an den aus Südtiroler Carbonatgestein gehauenen Häuserfronten, Brunnen und Kunstwerken seither nennenswerte Spuren hinterlassen.

Nicht jeder kann freilich die Premiumpreise bezahlen, wie sie für Göflaner Marmor aufgerufen werden. Den Baustoff gibt es denn auch in vielen anderen Qualitäten und zu anderen Preisen. Am billigsten ist chinesischer Marmor, dessen Platten bereits für weniger als 20 Euro pro Quadratmeter angeboten werden. Ein Grund dafür ist die geringere Qualität.

„Weicher Marmor ist nicht für Badezimmer geeignet, weil er nicht urinbeständig ist“, sagt Researcher Beyerle. „Schon kleinste Spritzer ätzen sich in den Stein und hinterlassen deutlich sichtbare Flecken.“ Zum anderen haben die Betreiber der Brüche in Fernost weit geringere Kosten. Es gibt keine nennenswerten Umweltschutzauflagen in der Volksrepublik, und die von der Regierung geforderten Sicherheitsstandards zum Schutz der Arbeiter sind deutlich geringer als in Europa.

Das kommt bei vielen Käufern schlecht an. „Wer sich mit einem luxuriösen Ambiente umgibt, will dieses ohne schlechtes Gewissen genießen können“, sagt Beyerle. Das wissen auch Projektentwickler. Das Berliner Bauunternehmen Undkrauss erwirbt deshalb für die von ihm hochgezogenen Objekte nur Marmor aus zertifizierten Steinbrüchen, die höchste Umweltschutzauflagen einhalten.

Die Regierung in Rom schützt das internationale Ansehen ihres Marmors mit hohen Umweltschutzauflagen für sämtliche Brüche. Und bei keinem sind sie so hoch wie in Göflan. Denn das Abbaugebiet liegt im italienischen Nationalpark Stilfser Joch. 2184 Meter über dem Meeresspiegel wird dort das weiße Gold im Unter- und Übertagebau aus dem Berg geschnitten – an lediglich sieben Monaten im Jahr, weil von November bis März alles von einer meterhohen Schneeschicht bedeckt ist.

Um den sensiblen Pflanzenbestand im alpinen Nationalpark zu bewahren, sind die Maschinen und Bagger mit aufwendigen Partikelfiltern ausgestattet. „Ein solcher Filter kostet bis zu 25.000 Euro“, sagt Verkaufsleiter Koch.

Zudem wird zum Schutz der Natur fast der gesamte Marmor nur mit Diamantsägen und Wasser geschnitten. Darüber hinaus ist die jährliche Ausbeute begrenzt: Lediglich 2000 Kubikmeter dürfen von April bis Ende Oktober gewonnen und verkauft werden.

Die WELT als ePaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung – so sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de

Der Kurz-Link dieses Artikels lautet: https://www.welt.de/150142363