Australien: Ausbrecher stellt sich 29 Jahre nach Flucht der Polizei | STERN.de

2021-12-22 10:21:15 By : Ms. Diana Teng

Ein Ausbrecher in Australien hat sich 29 Jahre nach seiner Flucht den Behörden gestellt – weil er wegen des Corona-Lockdowns in Sydney arbeitslos und obdachlos geworden war. Darko Desic betrat Mitte September eine Polizeistation im Strandvorort Dee Why und gestand, 1992 aus einer Haftanstalt in der 620 km nördlich gelegenen Stadt Grafton ausgebrochen zu sein, wo er wegen wegen Marihuana-Anbaus einsaß, wie australische Medien berichten. Er wurde zur Verbüßung der verbleibenden 14 Monate seiner 33-monatigen Haftstrafe ins Gefängnis zurückgebracht.

Doch damit nicht genug. Am Donnerstag (Ortszeit) musste Desic sich wegen seiner Flucht vor dem Central Local Court in Sydney verantworten und Richterin Jennifer Atkinson verlängerte seine Strafe um zwei weitere Monate. Wegen des Ausbruchs des mittlerweile 64-Jährigen habe sie keine Alternative zur Verhängung einer Gefängnisstrafe gehabt, erklärte Atkinson den Berichten zufolge. Für das Vergehen kann eine Höchststrafe von zehn Jahren verhängt werden.

Atkinson glaubte Desic demnach, dass er 1992 geflohen war, weil er "reale Ängste" hatte, nach Verbüßung seiner Strafe in sein Heimatland, das damals noch Jugoslawien hieß, abgeschoben zu werden. Er habe Befürchtungen gehabt, dass er während der Kriege von 1991-1995, die zum Zerfall Jugoslawiens führten, zum Militärdienst eingezogen werden würde.

Die Abschiebung droht Desic, der kein australischer Staatsbürger ist, auch jetzt noch. Sein Mandant habe vor Kurzem einen Brief der australischen Grenzschutzbehörde erhalten, in dem ihm mitgeteilt worden sei, dass er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis abgeschoben werde, sagte Desics Verteidiger Paul McGirr vor Reportern. Angesichts der Tatsache, dass Desics Heimatland Jugoslawien in der damaligen Form aber gar nicht mehr existiere, hoffe er, dass "das jemand mit gesundem Menschenverstand erkennt und sagt: 'Ich denke, dieser Brief könnte automatisch erstellt worden sein'".

Desic hatte bei seiner Flucht mithilfe eines Sägeblattes die Gitterstäbe vor dem Fenster einer Gefängniszelle durchtrennt, schreibt unter anderem ABC News. In einem Schuppen auf dem Gefängnisgelände habe er einen Bolzenschneider gefunden und damit ein Loch in die Umzäunung der Haftanstalt geschnitten. Nach dem Ausbruch lebte er fast drei Jahrzehnte lang in Sydneys angesagten nördlichen Strandvororten. Um unter dem Radar zu bleiben, entzog sich der 64-Jährige den Behörden, indem er Gelegenheitsjobs verrichtete und sich nie bei staatlichen Stellen meldete – bis er aufgrund der Coronakrise keine Arbeit mehr bekam und obdachlos wurde.

In all dieser Zeit habe Desic keine weiteren Straftaten begangen, erklärte McGirr. "Dieser Mann ließ sich 30 Jahre lang nichts zu Schulden kommen, er hatte keine Krankenversicherung, er musste sich selbst die Zähne ziehen, er war nie beim Arzt", zitiert ABC News den Anwalt. "Dies schwebte die ganze Zeit über über ihm – in gewissem Sinne wurde die Strafe bereits verbüßt."

In der Küstengemeinde, in der er als Handwerker gearbeitet habe, sei Desic "geliebt und respektiert" worden, sagte McGirr. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne seien sogar mehr als 30.000 Dollar zum "Wiederaufbau seines Lebens" gesammelt worden.

Auch Atkinson erkannte an, dass die Jahrzehnte seit Desics Verurteilung zeigten, dass er sich geändert habe. "Er hat eindeutig einen wichtigen Einfluss auf die Gemeinschaft ausgeübt", räumte die Richterin nach Angaben der Nachrichtenagentur Associated Press ein.

Angesichts der drohenden Abschiebung will Desics Anwalt den Generalstaatsanwalt und den Generalgouverneur des Bundesstaates New South Wales um Begnadigung seines Mandanten bitten. "Natürlich werden ich und eine Reihe anderer Leute für ihn kämpfen, denn ich denke, es ist einfach unaustralisch, jemanden zu treten, wenn er am Boden liegt", sagte McGirr laut ABC News. "Er ist ein geliebtes Mitglied der Gemeinschaft und er ist einer von uns, und wir werden weiter für ihn kämpfen.

Quellen: ABC News, "The New Daily", News, Associated Press, Gofundme, Polizei von New South Wales

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